
über Wahlfreiheit im Yogaunterricht
In meinen Yogastunden liebe ich das Wort vielleicht. Vielleicht sogar mehr als sonst in meinem Leben, wo ich es eher weniger benutze und sogar bewusst vermeide. Im Yoga aber ist es für mich ein Ausdruck von Freiheit, beziehungsweise Wahlfreiheit. Warum? Weil ich einfach viel zu viele Yogastunden erlebt habe, in denen bestimmte Details zu dogmatisch behandelt wurden.
Oder vielleicht, weil mir dort bei bestimmten Details die Wahlfreiheit zu wenig betont wurde oder jedenfalls so (zu) wenig, dass ich sie kaum wahrnehmen konnte. Lass mich das an einem Beispiel, nämlich einem nicht zu unterschätzenden Detail typischer Anleitungen in Yogastunden erklären:
„Schließe deine Augen“ – Muss das sein?
Ein Satz, der mir immer wieder in Yogastunden begegnet: „Schließe deine Augen.“ Vielleicht liegt es an mir, aber jedes Mal spüre ich einen kleinen Widerstand. Das richtet sich nicht gegen die Praxis des Augenschließens selbst, die ihre Vorteile hat (siehe nächster Absatz), sondern gegen die Absolutheit, mit der das von manchen Yogalehrenden so oft vermittelt wird, als sei das "Schließe deine Augen" alternativlos. "Schließe deine Augen" kommt mehr als Befehl, denn als Option. Die Anleitung erscheint als Anweisung.
Ja, das Schließen der Augen hat seine Berechtigung. Es kann helfen, die Sinne nach innen zu lenken. Pratyahara ist als der Rückzug der Sinne ein wertvoller Teil der yogischen Praxis, ein Teil der Philosophie. Man muss kein Philosophiestudium abgeschlossen haben, um das Gute daran zu sehen: Wenn wir die Augen schließen, reduzieren wir äußere Reize. Das Nervensystem kann sich beruhigen, der Fokus kann sich vertiefen, die Verbindung zum Inneren kann klarer werden und vieles mehr. Das Augenschließen kann ein Schlüssel zur Achtsamkeit, zur Meditation, zur Selbstwahrnehmung sein.
Betonung: kann!
Es ist natürlich nur meine Sichtweise, aber "Schließe deine Augen" kann nach meiner Ansicht nur funktionieren, wenn es sich für die Person sicher und stimmig anfühlt. Das heißt, es sollte nicht alternativlos bleiben. Was nämlich, wenn das Schließen der Augen nicht für jeden stimmig ist? Was, wenn es Unsicherheit auslöst, das Nervensystem überfordert oder (einem) einfach im Moment nicht passt?
Mehr Vielleicht, mehr Vielfalt
In meinem Unterricht wirst du nur äußerst, äußerst selten bis nie hören, dass du jetzt die Augen schließen sollst oder gar schließen musst. Stattdessen lade ich dich ein: Vielleicht schließt du die Augen. Vielleicht auch nicht. Vielleicht magst du die Augen schließen. Vielleicht fühlt es sich jetzt stimmig an. Wenn nicht, na dann eben nicht. Vielleicht fühlst du dich wohler mit offenen Augen. Und so weiter... Die Sprache hat viel Vielfalt für solche Vielleichts zu bieten. Ich möchte einladend und nicht belehrend sein.
Das kleine Wort vielleicht öffnet dabei zumindest für mich die Türen zu der Art Yogaunterricht, die ich bieten möchte. Es schafft Raum für Individualität, für Bedürfnisse, und vielleicht, ja hoffentlich für Selbstbestimmung. Es erlaubt dir, dich selbst zu erforschen, und dies ohne Druck, ohne Vorgaben, ohne richtig oder falsch. Dein Körper, dein Geist und deine Seele bilden (d)ein einzigartiges System. Und dieses System weiß, sofern man sich darin/damit auskennt, eben oft besser als eine Anleitung, was gerade gebraucht wird.
Für alle, die jetzt heftig widersprechen wollen, dass aber alle Yogalehrenden ihre Anweisungen wie "einatmen, ausatmen" und so weiter geben würden. Ja. Natürlich habe auch ich sowas wie einen "Stundenplan" und eine Idee, wie der Flow in der Stunde aussehen soll, welche Übungen es geben wird und so weiter. Natürlich wird nicht jede Anleitung mit einem Dutzend Vielleichts gegeben. Natürlich muss ich in bestimmten Asanas auch auf bestimmte Prinzipien achten, um dir ein sicheres Üben dieser zu ermöglichen und "Schäden" zu vermeiden. Wobei natürlich auch deine Eigenverantwortung gefragt ist.
Aber es geht bei meinem Job letztlich größtenteils darum, Vorschläge zu machen - und vielleicht auch manche Vorgabe (siehe oben) -, aber vor allem ist meine Aufgabe: Raum halten. Einen Raum halten, in dem du deinen eigenen finden kannst. Einen Raum, in dem du dich vielleicht mit geschlossenen Augen nicht nur zurechtfindest, sondern dich damit auch wohlfühlst.
Die Freiheit, du selbst zu sein
Meine Aufgabe als Yogalehrerin ist meiner Ansicht nach nicht die, dir alles vorzugeben. Sondern ich sehe es als meine Aufgabe, dir die Freiheit zu lassen, selbst zu spüren, was stimmig ist. Ich kann dir Impulse geben, dich einladen zwischen vielen Modifikationen und Optionen zu wählen, dich vielleicht auch über die Matte hinaus inspirieren. Es darf vor allem darum gehen, dass du tust oder lässt, was für dich, für dein System gerade stimmig ist.
Das bedeutet für mich, dir die Freiheit zu geben, dich selbst zu erforschen und auch mal zu experimentieren. Es geht nicht darum, jedes Detail für dich zu bestimmen, sondern darum, dich zu befähigen, dir selbst zu erlauben, das zu spüren, was du gerade brauchst und danach zu handeln.
Yoga ist für mich nicht das Befolgen eines starren Plans. Yoga ist das Finden deines eigenen Weges, im besten Falle nicht nur auf der Matte, sondern auch darüber hinaus. Und ein "Augen zu und durch" ist selten die richtige Herangehensweise ans Leben, oder?!
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