Pause, ein Plädoyer

Veröffentlicht am 6. August 2025 um 14:45

Warum ein Plädoyer?

Weil ich allmählich den Eindruck gewinne, dass man echte Pausen in unserer Gesellschaft, nämlich einer Leistungsgesellschaft, doch mehr verteidigen muss. Mehr jedenfalls als uns allen lieb sein kann. In einer Leistungsgesellschaft und in deren Logik scheint es nämlich, als sei eine Pause nicht produktiv und was nicht produktiv ist, ist nicht gut genug in einer Welt, in der Produktivität zur Währung geworden ist. 

Jedes "Ich weiß, du hast Urlaub, aber..." mir gegenüber, aber auch jedes "Das erledige ich dann in meinem Urlaub..." meinerseits ist für mich aktuell Beleg genug, dass wir die echte Pause wiederbeleben und wieder leben sollten. Weil: Es gibt immer was zu tun (und wenn es nichts zu tun gibt, dann gibt es mindestens was zu scrollen und/oder zu wissen). Oder aber - und das ist fast noch schlimmer, finde ich - die Pause wird zur rein regenerativen Maßnahme im Dienste weiterer Produktivität.

In der Landwirtschaft kennt man das Prinzip ja, dass Felder, die ruhen, später oft die ertragreichsten sein sollen. Die Pause wird damit Mittel zum Zweck. Nur sind wir keine Felder, sondern Menschen. Pausen sind auf ihre bestimmte Art für uns das natürliche Gegenstück zur Aktivität, so wie die Einatmung zur Ausatmung gehört. Pause sollte nicht eine "Maßnahme", sondern einfach nur menschlich sein. Echte Pause sollte nicht als Mittel zum Zweck angesehen werden, sondern als Zustand anerkannt werden. 

"Auch die Pause gehört zur Musik." hat Stefan Zweig gesagt. Ja! Es geht nicht darum, Pause als Unterbrechung zu sehen, sondern sie als Bestandteil des Flusses selbst anzuerkennen. 

Musik aus oder Kanne leer? 

„Aus einer leeren Kanne kann man nichts ausgießen.“

Dieser Satz, der schon wie ein geflügeltes Wort scheint, begegnet mir oft im Yoga- und/oder Selbsthilfekontext. Ich lese ihn in Büchern, in Zeitschriften, auf Instagram-Profilen von anderen Yogalehrenden. Und ich kommuniziere ihn selbst durchaus gerne, um Menschen zu verdeutlichen, dass sie Pause machen dürfen, weil ich merke, dass es für viele von uns so etwas wie eine Erlaubnis zur Pause oder das Gefühl von "verdienter" Pause braucht. Das braucht es nicht. Man muss sich Pause nicht erst verdienen. Wenn wir dieser Logik folgend weiter nur auf das Tun fokussieren, dann nehmen wir Auszeiten nur noch, um weiter oder wieder zu funktionieren. Wenn eine Pause nur dazu dient, im Anschluss wieder zu funktionieren, bleibt sie damit an die gleiche Logik gebunden, der wir eigentlich entfliehen wollten/sollten. 

Und, Asche auf mein Haupt und dringender Reminder auch an mich selbst, man muss diesen Spruch "Aus einer leeren Kanne kann man nichts ausgießen." wirklich beherzigen und die angesprochene Kanne wirklich füllen, indem man einen Gang runterschaltet und den Leerlauf einlegt. Und die Kanne sollte nicht nur gefüllt werden, um daraus wieder für andere ausgießen zu können, sondern einfach nur um des Füllstands willen, also um seiner selbst willen! Pausen werden erst dann eine verantwortungsvolle Praxis der echten Selbstfürsorge. 

Dabei haben wir doch heute ständig Selfcare, oder? Schnell ein Schaumbad eingelassen, eine Yogastunde gebucht, die 10.000 Schritte gesammelt... Aber ist es noch Selbstfürsorge, wenn wir auch in unserer Freizeit nicht wirklich frei sind? Selfcare kann zur Selbstoptimierung verkommen, wenn sie nur ein weiterer Punkt auf der to do-Liste ist. Wir konsumieren, kommunizieren, vergleichen, dokumentieren, zelebrieren sogar die Selfcare. Selbst der Sonntagmorgen mit Kaffee oder Tee auf dem Sofa wird schnell zu einem Instagram-Moment und ist damit wieder Teil eines Tuns, nämlich Teil der Außenwirkung. Müßiggang beginnt, wo keine Beweise mehr geliefert werden müssen und wo das bloße Sein genügt. Es geht nicht um das "to do", sondern ums "to be". 

Müßiggang verteidigen

„Müßiggang“ ist ein Wort, um das ich mir Sorgen mache. Müßiggang ist nicht Faulheit, nicht Stillstand, sondern ein anderer Modus des Daseins. Einer, in dem sich Sinn entfaltet statt Leistung. Aber auch das schöne Wort ist längst schon negativ konnotiert. In der Definition von Müßiggang ist aus "keiner Beschäftigung nachgehend" ein negativ ergänztes "keiner sinnvollen Beschäftigung nachgehend" geworden. Und es gibt natürlich Warnungen in unserer Sprache wie "Müßiggang ist aller Laster Anfang". Im Duden gibt es jedoch auch den Verweis zum italienischen Dol­ce­far­ni­en­tedem als angenehm, erholsam, erquicklich empfundenen Nichtstun.

Wenn ein Wort wie „Müßiggang“ als positiv konnotiert oder sogar ganz aus dem kollektiven Gedächtnis fällt, dann mit höchster Wahrscheinlichkeit auch die Fähigkeit, ihn zu leben. Oder es ist genau andersrum und er fällt aus dem Wortschatz, weil er nicht mehr gelebt wird... Ich fürchte, dass der Müßiggang in Vergessenheit geraten wird, weil der gelebte Müßiggang in unserer durchgetakteten Welt kaum mehr seinen Platz findet. Und was es nicht gibt, das muss ja auch nicht mehr bezeichnet werden, ein sinnentleertes Wort braucht dann auch nicht mehr im Wörterbuch stehen.

Eine andere Sprache

Vielleicht sollten wir unsere Sprache überdenken. Vielleicht sollte man nicht sagen "Ich mache Urlaub.", sondern "Ich bin im Urlaub." Sein statt tun, to be statt to do. Und dieser, meiner bescheidenen Logik folgend heißt es nicht "Ich habe Pause." oder "Ich mache Pause." (na immerhin, man macht sie), sondern "Ich bin in meiner Pause." So wird die Pause nicht zu einem bloßen Zeitfenster zwischen zwei Aufgaben oder Erledigungen, sondern zu einem Zustand, der unverplant und unbewertet ist, und damit hoffentlich unantastbar. Ein Fest der Unverfügbarkeit sozusagen.

Vielleicht ist diese Art echter Pause genau der Raum, den wir brauchen, um uns nicht zu verlieren in all unserem Tun. Wenn wir ständig tun, verlieren wir die Fähigkeit zu sein. Und damit auch die Fähigkeit, uns selbst zu spüren. Eine echte Pause stellt keine Frage nach Zweck oder Nutzen. Sie ist einfach, weil wir einfach sind.

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